Online-Talk: Refiguring archives

30.11.2022 00:00

Shahidul Alam, Tanzim Wahab und Munem Wasif, die drei Kuratoren der Biennale für aktuelle Fotografie 2024, sprachen mit yasmine eid-sabbagh, u. a. Mitglied der Arab Image Foundation, und NayanTara Gurung Kakshapati, Mitbegründerin und künstlerische Leiterin der drei Plattformen photo.circle, Nepal Picture Library und Photo Kathmandu, über unterschiedliche Strategien im Umgang mit Archiven, ihre (De-)Aktivierungen und Zukunftsvisionen. Das Gespräch fand am 8. Dezember unter dem Titel Refiguring archives (auf Deutsch etwa „Neugestaltung, Neuausrichtung von Archiven“) statt.

Im künstlerischen Kontext ist das Archiv niemals ein neutraler Ort. Dennoch werden Ausstellungen von Archivarbeiten oft als universelle Erzählungen betrachtet. Wie können wir über den institutionalisierten Apparat der Archivierung hinausblicken und stattdessen auf gemeinschaftliche Ansätze zurückgreifen, die der kanonisierten Repräsentation kritisch gegenüberstehen?

Über die Sprecher*innen:

links: Aus „Vies possibles et imaginaires“ (Editions Photosynthèses, Arles, 2012), eine Zusammenarbeit mit Rozenn Quéré. Courtesy yasmine eid-sabbagh und Rozenn Quéré; in der Mitte: Tanzim Wahab, Shahidul Alam und Munem Wasif (von links nach rechts) | Foto: © Lys Y. Seng; rechts: NayanTara Gurung Kakshapati | Foto: © Sagar Chhetri

yasmine eid-sabbagh erforscht durch experimentelle, kollektive Arbeitsprozesse die Potenziale menschlichen Handelns. Dazu gehören u. a. (Gegen-)Archivierungspraktiken wie das (Neu-)Zusammenstellen eines potenziellen digitalen Archivs gemeinsam mit Bewohner*innen von Burj al-Shamali, eines palästinensischen Flüchtlingslagers in der Nähe der libanesischen Küstenstadt Tyros. Oder radikale pädagogische Projekte wie Ses Milanes – créixer a la natura, ein selbstorganisierter Waldkindergarten im spanischen Bunyola, der die Natur als wichtigste Infrastruktur nutzt. yasmine eid-sabbagh versteht Fotografie als Medium, um Begriffe wie Kollektivität, Macht und Ausdauer gemeinschaftlich zu untersuchen, so zum Beispiel als Mitglied der Arab Image Foundation, einer von Praktiker*innen geführten archivarischen Einrichtung, und als Schwerpunkt ihrer 2018 beendeten Promotion in Kunsttheorie und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

NayanTara Gurung Kakshapati lebt in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu und arbeitet an den Schnittstellen von visuellem Storytelling, Forschung, Pädagogik und kollektivem Engagement. Sie ist Mitbegründerin und künstlerische Leiterin von photo.circle, Nepal Picture Library und Photo Kathmandu: drei Plattformen, die sich für Rahmenbedingungen einsetzen, die visuelles Geschichtenerzählen, Forschung und visuelle Kultur im Allgemeinen fördern. Dabei geht es den Beteiligten nicht nur darum, zu protestieren oder Widerstand zu zeigen. Sie wollen auch „Reparaturarbeit“ leisten, indem sie beispielsweise durch die Schaffung von Archiven historische Narrative rekonstruieren, die über Generationen hinweg verdrängt oder ausgelöscht wurden. Von 2013 bis 2015 leitete NayanTara Gurung Kakshapati das Festival Film Southasia, Südasiens führendes Non-Fiction-Filmfestival. Sie war Mentorin für die World Press Photo Joop Swart Masterclass und Vorsitzende der Jury des World Press Photo Wettbewerbs im Jahr 2021. Von 2020 bis 2022 gehörte sie zu den Jane Lombard Fellows am Vera List Center for Art and Politics, The New School, in New York.

Shahidul Alam (*1955) ist Fotojournalist, Sozialaktivist, Kurator und Autor sowie promovierter Chemiker. Seine Interessensfelder als Aktivist, Fotograf wie auch als Kurator sind Gesellschaftsthemen, u. a. Naturkatastrophen, Menschenrechtsverletzungen, die Unterdrückung durch die Regierung und das Militär in Bangladesch sowie das „Verschwinden“ politischer Gegner. Er wurde mehrfach für sein fotografisches Werk und sein politisches Engagement ausgezeichnet.

Tanzim Wahab (*1986) ist Kurator, Forscher und Dozent. Er ist der Direktor des Chobi Mela International Festival of Photography. Er hat mehrere kuratorische Forschungsprojekte und Ausstellungen geleitet, darunter Breaking Ground mit Werken der modernistischen Vorläufer Bengalens und (Dis) Place, eine Ausstellung über Vertreibung, die sich mit der Möglichkeit eines postgeschichtlichen Raums und der Funktion als symbolischer „Entlastungsakt“ befasst (mit Hadrien Diez). Wahab ist derzeit Mitherausgeber von Primary Documents, der Publikationsreihe über internationale Kunst des Museum of Modern Arts (MoMA). Außerdem war er Stipendiat mehrerer Programme, darunter u. a. Art for Social Change, USA, und Art Think South Asia (ATSA), Indien.

Munem Wasif (*1983) ist Künstler, Kurator und Pädagoge. In seiner Arbeit untersucht er die Konzepte von „Dokumenten“ und „Archiven“ und ihren entsprechenden Einfluss auf politisch und geografisch komplexe Themen. Seit der achten Ausgabe ist er Ko-Kurator des Chobi Mela Photo Festivals und hat drei große Überblicksausstellungen dafür kuratiert: über den legendären bangladeschischen Fotografen Anwar Hossain (2015), über Nasir Ali Mamun (2017) und über Rashid Talukder (2019). In den Jahren 2020/21 war Wasif Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seine Arbeiten wurden in Institutionen auf der ganzen Welt gezeigt, u. a. im Centre Pompidou, in der Whitechapel Gallery, im Victoria & Albert Museum, im Fotomuseum Winterthur und beim Chobi Mela Photo Festival.

Das Online-Gespräch Refiguring archives ist Teil des digitalen Vermittlungsprogramms What if you decide … . Dieses wurde entwickelt im Rahmen von „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm NEUSTART KULTUR.

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